Digitalisierung

„Das Auto „Finanzverwaltung“ fährt nicht erst vor die Wand, es ist bereits dagegen gefahren“

Vertreter der Steuer-Basis-Gewerkschaft nahmen an der Veranstaltung „Steuergesetzgebung und Steuervollzug in Zeiten der Digitalisierung“ der Juristischen Studiengesellschaft im Landgericht Hannover am 5.2.2020 teil. Vortragender war kein geringerer als Professor Dr. Dres. h.c. Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a.D.

Zunächst ging Prof. Kirchhof auf die Vorteile und Risiken künstlicher Intelligenz ein. Dabei stellte er bereits in Frage, ob es überhaupt künstliche Intellegenz gäbe. Denn die Maschine könne zwar in minimalster Zeit Unmengen von Daten auswerten und damit eine Zukunftsprognose erstellen, womit sie einem Menschen haushoch überlegen sei. Aber die Maschine sei immer in der Vergangenheit verhaftet und habe keinen unabhängigen Blick auf die Zukunft, wozu jedoch ein Mensch in der Lage sei.

Da die Maschine kein Mensch sei, könne man auch keine moralischen Anforderungen an diese stellen. Derartige Forderungen könnten nur an die Programmierer, die hinter diesen Maschinen stehen, gestellt werden. Dis sah der Professor als kritisch an. Man nutze die Möglichkeiten der sogenannten künstlichen Intelligenz, beherrsche sie aber nicht mehr. Man habe keinen Einfluss darauf, wo die Daten gespeichert werden. Dies machte er an dem Beispiel deutlich, dass die Menschen bereit seien, das Intimste preiszugeben, um durch die sogenannten außergewöhnlichen Belastungen Steuern zu sparen. Dabei mache sich jedoch kaum jemand Gedanken über die Speicherung der Daten.

Der Professor führte weiter aus, nur weil Dinge technisch möglich seien, müsste man sie nicht auch tatsächlich umsetzten. Was tatsächlich technisch umgesetzt würde, müsste immer noch dem Menschen und damit der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, mit anderen Worten die „technische“ Moral müsse mit den technischen Möglichkeiten mitwachsen.

In diesem Zusammenhang ging der Professor auf das Thema „Gerechtigkeit“ ein. Bei einer Maschine könne man von einer „gerechten“ Behandlung ausgehen, weil sie alle Steuerpflichtigen entsprechend der vorgegebenen Parameter gleich behandele.

Das Problem bestände nur darin, dass die Steuergesetzte so formuliert sein müssten, dass die einzelnen Rechtsbegriffe keiner Auslegung fähig seien. Interessanter Weise fordert  Prof. Parycek in dem Interview, das er in dem „Konsensheft 2“ gegeben hat, die Gesetze an die Maschinensprache anzupassen, was bedeutet, die Gesetze müssten so zu formuliert sein, dass sie keiner – „moralischen“ – Auslegung zugänglich sind.

Tatsächlich wimmelt es aber nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen in der deutschen Steuergetzgebung, so dass für die Entscheidung, unter welchen Rechtsbegriff der tatsächiche Lebenssachverhalt fällt, letztendlich dann doch von dem Menschen getroffen werden muss. Fälschlicher Weise ging der Professor davon aus, dass immer noch eine Vollprüfung in den Finanzämtern stattfindet. Ein Zuhörer sah vor allem ein strafrechtliches Problem darin, dass die Entscheidung, welcher Norm ein Sachverhalt zugeordnert wird, ausschließlich auf den Steuerbürger vorverlagert wird, wenn kein Finanzbeamter den Sachverhalt prüft. Dies sah der Professor ebenfalls als problematisch an. Der Zuhörer zeigte sich in diesem Zusammenhang außerdem darüber besorgt, dass eine Pensionierungswelle in der Finanzverwaltung bevorsteht.

Auf die Frage, wie sich das Risikomanagement, das die Einzelfallprüfung zugunsten der Wirtschatlichkeit begrenzt, mit der Gewaltenteilung verträgt, ging der Professor leider nicht ein. Denn nach den Vorschriften in der Abgabenordnung entscheiden die Finanzbehörden über die Prüfparameter, die jedoch nicht gerichtich überprüfbar sind.

Alles in allem wurde unserer Meinung nach durch den Vortrag jedoch deutlich, dass die Digitalisierung kein Allheilmittel ist, das den Personalfehlbestand in der Finanzverwaltung auffangen kann.

Warum ?  Lassen Sie es mich an einem einfachen Beispiel erläutern. Angenommen der Computer wäre in der Lage auf einer Rechnung die Position“Haarbürsten“ als das zu erkennen, was eine Haarbürste ist.

Um zu entscheiden, ob es sich dabei um eine Betriebsausgabe handelt, müsste der Computer prüfen, ob die Anschaffung der Haarbürste durch den Betrieb veranlasst ist. Bei einem Elektrohandel dürfte dies wohl kaum möglich sein, aber bei einem Friseur, einem Pflegeheim u.ä. dann aber doch. Wie soll Derartiges programmiert werden ? Denn jedes erdenkliche Produkt müsste mit einer Vielzahl von Zusatzsinformationen verknüpft werden. Dies ist wohl kaum möglich zu programmieren, vor allem nicht bei dem Personalfehl im IT-Bereich. Wenn hierzu aber keine Prüfung mehr erfolgt, weil zum einen der Computer den tatsächlichen Lebenssachverhalt nicht mit der Gesetzesnorm vergleichen kann und zum anderen nicht mehr genügend Finanzbeamte da sind, um diesen Abgleich vorzunehmen, ist stets der ehrliche Steuerbürger, der sich darum bemüht, seine Angaben korrekt vorzunehmen, zwar gesetzestreu, aber letztendlich benachteiligt, weil der Unehrliche weniger Steuern zahlt und dadurch einen Wettbewerbsvorteil erlangt.

Dies halten wir für sehr bedenklich. Zu wenige Finanzbeamte bedeuten, verschenkte Steuereinnahmen, mit denen man sinnvolle Projekte förden könnte.  Die Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, der sich offenbar auf die Digitalisierung verlässt, schmerzt damit nicht nur unsere Kolleginnen und Kollegen.

Mit anderen Worten unsere Finanzverwaltung und die Steuergerechtigkeit fährt nicht erst vor die Wand, sondern hängt bereits davor.