Klartext: Den Familien den Rücken frei halten!
Ein Kommentar von Markus Schlosser, stellv. Vorsitzender der Steuer-Basis-Gewerkschaft
Die Corona-Pandemie ist inzwischen zum gewohnten Zustand in Alltag und Beruf geworden. Wir alle haben uns angepasst, arrangiert und umorganisiert.
Seit einem Jahr begleiten uns Begrifflichkeiten wie Alltagsmasken, Social Distancing, Home Schooling, Home Office, und, und, und. In diesem Winter sprach die Politik sogar von der größten Herausforderung für unsere Gesellschaft seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Es werde ein harter Winter. Tatsächlich wird der Lockdown bis ins Frühjahr andauern….
Bereits vor Weihnachten wurden Eltern angehalten, die Kinder nicht in die Kitas und Schulen zu schicken, von Notbetreuungsangeboten möglichst keinen Gebrauch zu machen. Auch viele Beamte folgten verantwortungsbewusst diesen Appellen, bauten Zeitguthaben, Resturlaubstage oder noch vorhandenes Sonderurlaubskontingent ab. Schließlich ging man davon aus, dass der Dienstherr im kommenden Kalenderjahr weiterhin Möglichkeiten zur Verfügung stellen würde, Dienst und Familie zu kombinieren. Wenn nicht der öffentliche Dienst, wer denn sonst? Schließlich ist das auch der politische Wille, oder?
So war es einhellige Auffassung, dass mit dem neuen Kalenderjahr auch der Sonderurlaubsanspruch von 30 Tagen – praktisch das Gegenstück zum Kinderkrankengeld, das auf pandemiebedingte Fehlzeiten ausgeweitet wurde – wieder aufleben würde. Gerade nach dieser Veränderung im privat-wirtschaftlichen Bereich und in einer Zeit von Appellen an Eigenveranwortung aber auch an die Verantwortung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber konnte daran kein Zweifel bestehen. Jedenfalls hatte sich die Politik/Verwaltung im Vorfeld zum Jahreswechsel nicht anders positioniert und der Dienstherr ist sich des besonderen Dienst- und Treueverhältnisses zu seinen Beamten ja auch bewusst.
Nichts da! Am 21. Januar 2021 geht das Niedersächsische Innenministerium hin und wirft mit seinem Erlass „Dienstrechtliche Hinweise zum Umgang mit dem Corona-Virus“ diese Gedankenwelt über den Haufen. Wohlgemerkt, am 21. Januar 2021!
Darin heisst es, die COVID-19 Pandemie sei als „einheitlicher wichtiger Grund“ im Sinne des § 11 der Niedersächsischen Sonderurlaubsverordnung zu betrachten. Ergebnis: Der 30-tägige Sonderurlaubsanspruch gilt einmalig für den gesamten Zeitraum der Pandemie. Diese Auffassung kommuniziert man rund acht Monate nachdem dieses dienstrechtliche Instrument erstmals zum Einsatz kam.
Ob der eine oder andere Beamte in Kenntnis dieser Rechtsauffassung im Vorfeld weniger großzügig den Appellen an das eigene Verantwortungs-bewusstsein gefolgt wäre?
Moment, für das erste Quartal 2021 werden ja doch zehn Tage Sonderurlaub gewährt – wenn davon am 21.01.2021 noch Tage übrig sind…. Dass den Beamten der Finanzverwaltung dieser Regelungsinhalt erst am 08. Februar 2021 zur Kenntnis gegeben wurde, ist eine weitere bemerkenswerte Randnotiz. Höchst “unglücklich“.
Die Familien haben längst geplant, Betreuung organisiert und sich unter den bekannten Voraussetzungen auf die jetzige Lage eingestellt und nun wird ihnen rückwirkend der Boden unter den Füßen weggezogen.
Aber ordnen wir doch einfach mal diese Haltung des Dienstherrn moralisch in den Gesamtkontext ein:
Wie eingangs ausgeführt, begleitet uns die Pandemie seit fast einem Jahr.
Seit einem Jahr gehören Kinder und Eltern zu den am stärksten betroffenen Gruppen der Corona-Beschränkungen.
Seit einem Jahr hört man Appelle an die Arbeitgeber, Home Office zu ermöglichen, wo es nur geht, zuletzt besonders nachdrücklich.
Seit einem Jahr scheitert die Niedersächsische Finanzverwaltung auf ganzer Linie, diese Forderung ausgerechnet bei sich selbst umzusetzen. Man könnte nun Begrifflichkeiten wie Totalversagen in den Mund nehmen.
Aber das Versagen ist nicht total. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium können tatsächlich von zuhause aus arbeiten. Es sei Ihnen gegönnt. Die Realität in der Fläche ist jedoch eine andere.
Den Finanzbeamten in den Veranlagungsfinanzämtern steht diese Möglichkeit weitestgehend nicht zur Verfügung. Jedenfalls nicht denen in Niedersachsen.
Nicht den Kollegen, die zu Beginn der Pandemie massenweise Vorauszahlungen herabgesetzt haben, um Unternehmen liquide zu halten. Nicht den Kollegen, die sich der besonderen Verantwortung ihrer Tätigkeit in einer Eingriffsverwaltung in der Pandemie, beim täglichen Handeln bewusst sind.
Nicht den Kollegen, die bereitwillig die Gesundheitsämter unterstützt haben und weiterhin unterstützen.
In aller Deutlichkeit:
Der Dienstherr erwartet von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur die Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes, er belastet sie darüber hinaus auch noch mit Zusatzaufgaben.
Der Dienstherr scheitert daran, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Arbeiten aus dem Home Office zu ermöglichen. Das, was die Politik privat-wirtschaftlichen Arbeitgebern immer wieder mit Nachdruck ins Corona-Lastenheft diktiert.
Der Dienstherr ist verantwortlich dafür, dass als einziges Mittel nur die Inanspruchnahme von Überstunden, Urlaub oder Sonderurlaub bleibt, um Familie und Beruf in Einklang zu bringen.
Der Dienstherr schränkt diese letzte Möglichkeit nun rückwirkend ein. Alternativen bietet er nicht an.
Die Kolleginnen und Kollegen bewältigen tagtäglich diesen Spagat aus Dienstverpflichtungen, Mehrarbeit, Erziehung und Familie. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass damit eine erhebliche tagtägliche Belastung einhergeht, die zunehmend auch die physische und psychische Gesundheit der Mütter und Väter gefährdet!
Und dennoch werden die Kolleginnen und Kollegen in den Finanzämtern ihrer Verantwortung gerecht.
Politik und Dienstherr auch?